Hunger an der Wolga. 1922

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Winter
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Hunger an der Wolga. 1922

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Hunger an der Wolga . Fanz Jung .Berlin 1922.

Отрывок из брошюры о Орловском
DAS STERBEN IN DER STEPPE

Orlowskoe

Das ist eine der Musterkolonien. Im ganzen Ort findet man kaum ein verfallenes Haus. Die einzelnen Grundstücke sind mit großen Obstgärten umgeben, eine Seltenheit im Wolgagebiet. Ein gemeinschaft'icher Weideplatz liegt außerhalb des Dorfes, weiter noch ein Wäldchen, das aller Ausrottungswut bisher standgehalten hat. Als ich nach Orlowskoe einbog, den Abhang eines Lehmberges scharf hinunter, das Wägelchen krachte in allen Fugen, pfiff durch die breiten Straßen ein eisiger Südost. Ich verwunderte mich nicht, keinen Menschen auf den Straßen zu sehen. Als ich aber näher zusah, merkte ich, daß die Häuser keine Fenster mehr hatten, mit Holzleisten waren die Fenster zugeschlossen und eine Querleiste darübergenagelt. Überall waren die Häuser verlassen, die Menschen geflohen. Aber die Flucht mußte in aller Ordnung vor sich gegangen sein. Nirgends sah man abgerissene Häuser und Dächer wie weiter draußen in den Steppendörfern. Der Wind rüttelte an den Toren, die Pfosten, noch aus starkem, frischem Holz, hielten kräftig stand. Es war ein organisierter Widerstand, den das Dorf gegen den Hunger leistete.

Der Platz um die lutherische Kirche lag verödet. In einem großen, noch weiß glänzenden Haus wurden ein paar Lichter angesteckt. Man sah eine Menge Gestalten durch das Fenster hin und her huschen. Es war das ehemalige Pfarrhaus, das gegenwärtig zum Kinderheim umgewandelt worden ist. Den Pfarrer hat man in etwas bescheidenere Verhältnisse umquartiert, Orlowskoi ist eine der Hauptetappenstationen für die Kinderevakuierung. Es ist Platz genug in Orlowskoe für die Kinder, Hunderte von Häusern stehen leer — dennoch schickt man auch die Orlowskoier selbst nach Baronsk, dem Mittelpunkt, der nur 15 Werst entfernt ist. Und dort bricht alle Organisation zusammen, weil man den Zustrom der Tausenden nicht bewältigen kann. Dafür hat man aber in Orlowskoi keine Kräfte, die sich dem Hilfswerk zur Verfügung stellen. Die Armen arbeiten zum größten Teil an dem Wegebau, der als Notstandsarbeit längs der Wolga ausgeführt wird. Sie arbeiten in der Filzbereitung, aus der dann die Filzstiefel, ein nationaler Industriezweig des Wolgagebietes, gewonnen werden. Nur die Arbeitsunfähigen sind für den Dienst im Ort zurückgeblieben. Die Reichen, die Lebensstarken, die Intelligenz des Ortes, haben Orlowskoi schon lange verlassen. Sie waren die ersten, die sich selbst auf Evakuierungslisten zu setzen verstanden. Sie haben sich die besten und für sie bequemsten Plätze ausgesucht. Sie saßen an der Quelle der Saatverteilung, und sie waren die ersten, die mit Produkten aus der Hilfsaktion beliefert wurden. Das wird noch und in der ganzen Welt oft so sein. Statt zu helfen, sind sie ausgerissen — die Lebensstärksten, die die Hilfsaktion in ihrer praktischen Durchführung hätten stützen können. Die vernagelten Fenster und Tore sind ihr letzter Gruß. Man sagt, daß gerade viele von den Orlowskoier Kulaken sich durch Schmiergelder bei der deutschen Fürsorgestelle in Moskau die Ein-reiseerlaubnis nach Deutschland verschafft haben. Sie warten dort bessere Zeiten ab und damit ihnen die Zeit nicht lang wird, haben sie einen Verein verbunden mit einer Landbank ins Leben gerufen, der auf verleumderische Hetze gegen die Kommunisten gegründet ist. Wer durch Orlowskoi fährt, den erfaßt der ganze Ekel, der aus der Atmosphäre dieser Menschen einem erwächst. Sie haben noch Millionen genug ge¬habt, die deuschen Grenzbeamten zu bestechen, noch heute macht die Kolonie den reichsten Eindruck von der ganzen Wolga — aber sie haben nicht einen Pfennig hergegeben, die Orlowskoier Kulaken, um das Dorf einen Damm zu errichten, die primitivsten Bewässerungsanlagen zu schaffeen, oder gar einen Windmotor für eine Brunnenleitung aufzustellen. Sie haben mit dem reichlichen Viehbestand gewuchert, als schon Tausende um sie herum Hungers starben. Sie haben's noch dazu, im Ausland zuzusehen, wie das Land über das Elend hinwegkommt — dann erst werden sie wieder kommen und wieder die andern um ein Stück Brot für sie arbeiten lassen. Der Ekel packt einen. Man sagt, daß die augenblickliche Verwaltung einen Vertreter ins Ausland geschickt hat, der diese Kulaken unter allerhand Versprechungen und Kon¬zessionen zurückrufen soll. Das sollte nie geschehen. Wie ist etwas derartiges überhaupt möglich! Die Leute sind den Fußtritt nicht wert, mit dem man sie sich vom Leibe hält. Die Konterrevolution deutschen Stammes scheint mir die schlimmste der ganzen Welt. Sie ist nicht nur brutal und heuchlerisch, sondern auch kulturlos. Die deutschen Pastoren des Wolgagebiets stehen oft unter dem Vieh. Laßt sie um Gottes Willen in ihren Berliner Vereinen weiter stinken.
Ich suchte in Orlowskoi einen Menschen, auf dessen Mitarbeit in der Verwaltung die allergrößten Hoffnungen gesetzt wurden. Der Mann ist Lehrer und mehr noch Oekonom, und sein Einfluß unter den Bauern war ein ganz gewaltiger. Er hat sein Leben lang dafür gekämpft, die Kulturstufe der Wolgabauern zu heben. Er ist nicht müde geworden, immer neue Bilder von Musterwirtschaften und Siedlungen zu entwerfen. Die Russen der umliegenden Dörfer haben viel von ihm angenommen, seine deutschen Stammesgenossen nichts. Seine Predigten nach Kollektivwirtschaften gingen in die Luft.

Der deutsche Kolonist wehrte sich dagegen mit der Verbissenheit seines Stammes, wenn er seinen Eigensinn nicht aufgeben will. Dieser Mann ist ein guter Freund der Sowjets, wenngleich kein offizieller Kommunist. Er hat nur den einen Fehler, die Kollektivbewirtschaftung als ein Vorbild des Deutschtums unter nationalistischer Flagge zu verkünden. Aber erwird alles tun, was die Regierung von ihm wünscht, er stellt sich ganz zur Verfügung. Es gibt noch mehr solcher Leute im Gebiet, viel mehr als man denken mag. Aber die Verwaltung, die von der Kulakenatmosphäre durchseucht ist, läßt diese Männer nicht hoch. Man nützt sie zwar aus, weil der Befehl von oben vorliegt, aber ihre Flugblätter und Broschüren, ihre sonstige Wirkungsmöglichkeit bleibt ungenützt liegen. Tausende von den wichtigsten Aufklärungs-broschüren kommen gar nicht ins Dorf. Man findet sie auf dem Basar zum Einwickeln der Wucherwaren. Nun — diesen Mann in Orlowskoe wollte ich sprechen, vielleicht hätte ich zur Aufklärung etwa möglicher Mißverständnisse beitragen können. Aber ich konnte nichts dazu tun. Ich wurde in das Zimmer geführt eines Sterbenden. Der Kranke lag auf einem Bündel auf der Erde. Er wollte sich immer aufrichten und mit mir sprechen. Schließlich sagte er: Sie kommen gerade in der schlimmsten Krise. Vielleicht werde ich diese Nacht sterben. Aber Sie kommen auf alle Fälle nach fünf Tagen etwa noch mal wieder. — Dann wurde der Kranke ohnmächtig. Es war eine der peinlichsten Stunden meines Lebens. Schon seit drei Tagen hat man jede Stunde auf den Arzt gewartet. Ich hätte ihn leicht mitnehmen können. Mit letzter Kraft hatte sich dieser Mann aus dem Krankenhaus geflüchtet. Der Typhus schien schon überwunden, dann kam ein schwerer Rückfall. Ich hörte leider nicht mehr, ob die Krise überstanden ist, oder ob das andere, das Naturnotwendige eingetreten ist. Ich glaube fast, das letztere. Denn diese Worte schließen das Verständnis für die Gesamtsituation aus. So ist es an der Wolga. Es ist diesen Winter die Krise. Die Menschen sterben diesen Winter — oder ein Wunder muß geschehen.
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